London 2024 – Tag 2: Bletchley Park & East London (Spitalfields und Shoreditch)

Heute liegt unser Ziel außerhalb Londons. Nach einem ausführlichen Vergleich der Eisenbahnunternehmen (Ergebnis: alle mies) haben wir uns für die London Northwestern Railway entschieden. Wir haben Glück, denn heute fahren die Züge noch – morgen streiken die Lokführer.

Das Ziel unserer Reise ist etwas mehr als 40 Minuten entfernt und stand schon lange auf unserer Liste.

Bletchley Park

Wir sind erstmal überrascht: Rosenbeete, ein Teich, davor, auf einer gepflegten Wiese steht ein ­riesiger Baum. Von dessen Wipfel spannt sich der Draht einer Antenne hin­über zu den dünnen Schornsteinen eines fast 60 Jahre alten Herrenhauses.

Da noch Osterferien sind, ist die Osterhasenjagd noch in vollem Gange. Über das ganze Gelände verteilt kann man Hasen finden, die typische Berufe von Bletchley Park vertreten. Im Bild sieht man zum Beispiel „Oilve, den Hasen, der Nachrichten abhört“.

Natürlich muss man auch hier Rätsel lösen, um das Codewort zu knacken (und sich einen entsprechenden Anstecker zu verdienen). Die zu entschlüsselnden Nachrichten sind passend zum Thema gewählt. („Wie hält sich ein Osterhase fit?“ „Mit Eggs-ercise.“

Durch die Osterhasenjagd wird auch der Gang über die großen Freiflächen abwechslungsreich und wir kommen in versteckte Ecken.

Block C – Das Besucherzentrum

Block C wurde 1942 erbaut und ist unsere erste Station nach der Ankunft. 

Wir kaufen ein – für Kinder gedachtes – Missionspaket (Top Secret Mission Pack). Ähnlich wie bei anderen Museumsbesuchen finden wir es immer witzig, solche Angebote zu nutzen. Unsere Aufgabe hier ist es, Missionen an den wichtigsten Stellen des Museums abzuschließen und so herauszufinden, was hier während des Zweiten Weltkriegs passiert ist. Dazu müssen wir unseren Mitarbeiterausweis im Herrenhaus prägen und die Geheimhaltungspflicht unterschreiben, in Hütte 6 beim Decodieren mitarbeiten und morsen lernen.

Das Herrenhaus

Das imposante Gebäude ist der Ort, an dem die ersten Kryptoanalytiker stationiert waren, bevor es zu eng wurde und die Abteilungen auf neu errichtete Hütten und Blöcke aufgeteilt wurden. Doch auch nach der Erweiterung diente das Herrenhaus als Büro- und Freizeitgebäude. Hier befand sich auch das Büro von Alastair Denniston, dem Leiter der Government Code and Cypher School, die auch Station X genannt wurde. Britische Kryptoanalytiker versuchten in der „Schule für Kodierung und Verschlüsselung“ des Auslands­geheimdiensts MI6, den geheimen Nachrichtenverkehr der deutschen Wehrmacht zu entziffern. Zudem ist hier die Bibliothek untergebracht, die genauso aussieht, wie man dich ein Geheimdienstbüro vorstellt.

Die Ausstellung zeigt, wie Bletchley Park heimlich als Kriegsstützpunkt ausgewählt wurde. Historische Karten zeigen, dass Bletchley Park die perfekte Lage hatte, um zur geheimen Station der Government Code and Cypher School zu werden – ein abgeschiedenes Landgut in der Nähe von Verkehrs- und Telekommunikationsverbindungen nach London und dem Rest des Vereinigten Königreichs.

Bei Kriegsausbruch wurde eine „Notfallliste“ von Männern und Frauen herangezogen, um Mitarbeiter zu rekrutieren. Berichte und Fotos geben einen Einblick in Verlegung der Government Code and Cypher School nach Bletchley Park im Jahr 1938 und die frühen Tage des Zweiten Weltkriegs, einschließlich der Arbeit der ersten Kryptoanalytiker. Die Belegschaft wurde rasch auf etwa 150 Personen aufgestockt, um die Aufgabe der Entschlüsselung von Nachrichten bewältigen zu können, die bevorstand. Der Standort wuchs enorm und beschäftigte bald 9.000 Mitarbeiter, 75 % davon waren Frauen.

Hütten 3 und 6

Hier waren jene Abteilungen zu finden, die Nachrichten der deutschen Armee und Luftwaffe entschlüsselten, übersetzten und auf wichtige Informationen analysierten.

Hütte 8

Zu Beginn waren hier die Kryptoanalytiker untergebracht, die die Nachrichten der deutschen Marine entschlüsselt haben. Hier befindet sich auch das Büro von Alan Turing, dessen geniale Leistungen in der Decodierung von Wehrmachts-Nachrichten den Zweiten Weltkrieg angeblich um 2 Jahre verkürzt haben. Einen Tag nach dem Kriegseintritt Grossbritanniens wird er nach Bletchley Park gerufen. Turing meidet den Kontakt zu den anderen Wissenschaftlern.

Das Genie wird immer unterschätzt. 1945 zeichnet Turing Pläne, aus denen der erste moderne Computer hätte werden können – wenn das National Physical Laboratory ihm die nötigen Mittel bewilligt hätte. 1948 kündigt er Jahrzehnte im Voraus die Entwicklung der künstlichen Intelligenz an. Nach einer Affäre mit einem Mann wird Turing 1952 wegen Verstosses gegen die guten Sitten verurteilt. Chemische Kastration durch weibliche Hormone rettet ihn vor dem Gefängnis. Am 7. Juni 1954 wird Turing nach einem Suizid tot in seinem Schlafzimmer gefunden.

Hütten 11 und 11A

Die Ausstellung in Hütte 11 ist jenen Frauen gewidmet, die in der Hütte, die sie „Höllenloch“ nannten, an den Maschinen arbeiteten. In der Hütte 11A ist die Turing-Welchman-Maschine zu sehen, die tausende verschlüsselte Nachrichten der Deutschen knackte.

Wir können uns gut vorstellen, wie hier laut ratternde Maschinen standen und Frauen auf schreibmaschinengleiche Apparate eintippen während exzentrische Wissenschaftler vor meterhohen Papierstapeln hocken. Einige der Zimmer sind so gestaltet, dass man meinen könnte, seine Benutzer wären nur schnell etwas zu essen holen gegangen. Strickjacken hängen an den Rückenlehnen der Sitze, Teetassen stehen herum und streng geheime Dokumente sind auf den Schreibtischen verstreut.

Block A – Die Geheimdienstfabrik

Als die Räumlichkeiten im Herrenhaus, den Cottages und den Hütten zu klein wurden, begann die Errichtung von Ziegel- und Betonblöcken. Im Block A waren jene Kryptoanalytiker untergebracht, die an der Übersetzung und Analyse der Enigma-Nachrichten der Marine arbeiteten. Die Anstrengungen hier von 1942 bis 1945 wurden in industriellen Maßstab durchgeführt.

Block B – Das Museum

Das 2007 eröffnete National Museum of Computing im Block B hat zum Ziel, Computersysteme zu sammeln und wiederherzustellen, die speziell in Großbritannien entwickelt wurden. Es beherbergt die größte und umfassendste Ausstellung von Enigma-Maschinen der Welt. Zudem zeigt es die Arbeit an japanischen Codes an Hand einer Nachricht vom Abfangen, über deren Entschlüsselung bis zu den daraus resultierenden Aktionen.

Der vielleicht größte Erfolg von Bletchley Park war die Entschlüsselung der strategischen Chiffre der Deutschen, Lorenz. Diese komplexe Chiffre wurde verwendet, um die Kommunikation zwischen Berlin und deutschen Feldkommandanten zu sichern. Es gibt eine funktionierende Rekonstruktion des Röhrencomputer Colossus, der 1943 zum Entziffern des deutschen Fernschreibverkehrs in Betrieb genommen wurde. Damit konnten mit der Lorenz-Maschine (die von den Briten Tunny oder Thunfisch genannt wurde) verschlüsselte Nachrichten decodiert werden. Später gelang es auch, Nachrichten, die mit Enigma verschlüsselt wurden, innerhalb eines Tages zu entziffern.

Fernschreibergebäude

Dieses Gebäude war während des Krieges ein wichtiger Kommunikationsknotenpunkt und wurde in den letzten Jahren nahezu wieder in sein äußeres Erscheinungsbild aus der Kriegszeit zurückversetzt.  Es beherbergt eine Ausstellung, die dem : D-Day: Interception, Intelligence, Invasion. Am 6. Juni 1944, dem D-Day (Codename Operation Overlord) landeten Zehntausende alliierter Truppen entlang der stark befestigten Küste der Normandie und begannen den koordinierten Angriff auf die „Festung Europa“. Ein speziell in Auftrag gegebener Film zeigt die Rolle von Bletchley Park am D-Day.

Am Denkmal ist hinten eine Nachricht in Morsecode angebracht, die wir auch entschlüsseln müssen. Danach haben wir uns unseren Dienstausweis redlich verdient.

East London (Spitalfields und Shoreditch)

Wieder zurück in London fahren wir nach East London.

Brick Lane

Im 15. Jahrhundert wurden hier Ziegel hergestellt, im vergangenen Jahrhundert war die Straße vor allem von Immigranten bewohnt – überwiegend von Menschen aus Bangladesch und Indien. Spitalfields und Shoreditch sind ehemalige Arbeiterbezirke. Diese Einflüsse sind auch heute noch zu erkennen. Die Brick Lane ist Anziehungspunkt für viele Street Art- und Graffiti-Künstler.

Old Spitalfield Market

Der Old Spitalfield Market ist einer der ältesten Märkte Londons, der permanent stattfindet. Er befindet sich in einem viktorianischen Gebäude aus dem Jahr 1887 und ist teilweise überdacht. Bereits damals, als das Gebiet noch außerhalb Londons lag, wurde hier mit Fleisch und Gewürzen gehandelt.

Je näher wir der Liverpool Street kommen, desto moderner und hipper wird die Gegend. Nun merkt man, dass sich hier viele IT Firmen angesiedelt haben.

Mittlerweile ist es spät geworden und wir lassen den Abend in der Lounge des Hotels ausklingen.


Bletchley Park
Homepage
Eintritt: £ 21,00 pro Person + £ 1,00 für das „Top Secret Mission Pack“

London Euston – Bletchley
£ 47,00 pro Person hin und zurück

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.